Digitalisierung: Reißt die Kluft weiter auf?
 
Unsplash/Markus Spiske
Während sich viele Unternehmen dem Wandel anpassen und Möglichkeiten nutzen, drohen andere den Anschluss zu verlieren.
Während sich viele Unternehmen dem Wandel anpassen und Möglichkeiten nutzen, drohen andere den Anschluss zu verlieren.

KMU geraten in einer digitalen Welt immer stärker unter Druck. Oft fehlt es an Geld und Personal für notwendige Innovationen. Experten raten zu raschen Veränderungen.

Die Schere in der Digitalisierung österreichischer Unternehmen droht weiter auseinanderzugehen: Während erfolgreiche und größere Marktteilnehmer die Digitalisierung bereits erfolgreich meistern, hinken kleine und weniger erfolgreiche Player hinterher. Unternehmen mit schlechter Geschäftslage und negativen Geschäftsaussichten setzen weitaus weniger auf die Digitalisierung. Die Kluft zwischen erfolgreich und erfolglos droht weiter auseinanderzudriften. Das untermauert eine aktuelle Studie der Prüfungs- und Beratungsorganisation Ernst & Young EY, die 900 Klein- und Mittelbetriebe mit 30 bis 2.000 Mitarbeitern befragt hat. „Der österreichische Mittelstand steht am Scheideweg“, konkretisiert EY-Experte Martin Unger.

Während sich viele Unternehmen dem Wandel anpassen und Möglichkeiten nutzen, drohen andere den Anschluss zu verlieren. „Sie investieren nicht genug in die Umstellung auf digitale Technologien oder finden nicht das geeignete Personal. Die Gefahr einer digitalen Zweiklassengesellschaft in Österreich steigt“, so Unger. Für 16 Prozent der Unternehmer ist der finanzielle Aspekt ein Innovationshemmnis, elf Prozent fehlt schlicht das geeignete Personal, neun Prozent sehen die Ursache im fehlenden Know-how.

„Unternehmen, die zu lange an einem veralteten Geschäftsmodell festhalten, werden zu den Verlierern gehören. Wer jetzt nicht auf den Zug der digitalen Revolution aufspringt, wird auf der Strecke bleiben“, so Unger. Immerhin: zwei von drei KMU sehen in der Digitalisierung eine Chance, auch die Bedeutung der Digitalisierung an sich hat zugenommen. Insbesondere im Bereich der Finanz- und anderen Dienstleistungen (74 Prozent), Handel (73 Prozent), Transport und Verkehr (72 Prozent) sowie der chemisch-pharmazeutischen Industrie (61 Prozent) spielen digitale Technologien bereits eine große Rolle. In vergleichsweise kostenintensiven Branchen wie Metall- (35 Prozent) und Maschinenbauindustrie (41 Prozent) bekommt diese Thematik weniger Aufmerksamkeit.

Festgefahrene Strukturen

Um als KMU den Anschluss nicht zu verpassen, braucht es innovatives Denken. „Die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen, erfordert bisher Bewährtes loszulassen. Und das fällt schwer“, erläutert Michael Bartz, Professor am International Business Institute der IMC FH Krems sowie Buchautor und Blogger, eines der Problemfelder. Insbesondere für kleine Betriebe sei es schwer, bewährte Geschäftsmodelle, Produkte und Prozesse zu verändern und neu zu erfinden – auch, weil die Finanzdecke ungleich dünner ist. Das erkennt auch Markus Heingärtner, Geschäftsführer von dignit consulting, der Firmen am Weg in eine digitale Zukunft begleitet.

„Viele KMU haben sich lange nicht angesprochen gefühlt – in Kombination mit einer skeptischen Haltung gegenüber dem Thema Digitalisierung.“ Für Experimente ohne konkreten Kundennutzen und Umsatz hätten KMU meist keine Luft, erklärt Gerhard Kormann vom International Business Institute der IMC FH Krems. Passieren könne das nur im Rahmen von Aufträgen, bei denen die Digitalisierung quasi parallel im Unternehmen etabliert werden kann. „Die entscheidende Frage für KMU lautet daher: Schaffen wir es, jene herausfordernden Kundenaufträge zu angeln, wo wir die neuesten digitalen Technologien einsetzen können und müssen?“, so Kormann. Unterstützung erhalten Betriebe nun auch durch konkrete politische Maßnahmen.

Erst kürzlich wurde mit KMU-Digital eine Digitalisierungsoffensive vom Wirtschaftsministerium und den Wirtschaftskammern Österreichs ins Leben gerufen. Das Förderprogramm soll KMU dabei helfen, digital fit zu werden. So werden Awareness- und Unterstützungsmaßnahmen angeboten. Die Initiative startet heuer und ist auf zwei Jahre angesetzt. „Digitalisierung ist vielfältig und braucht neues Know-how – nicht nur in Technologie- und Cyber-Security-Fragen. Dabei wollen wir Österreichs Betriebe unterstützen“, unterstreicht Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl. Neben Potenzialanalysen bietet die Initiative auch konkrete Fördermaßnahmen, um im Personalbereich digitale Kompetenzen zu erweitern.

„Der Wandel betrifft nicht nur einzelne, sondern wirklich alle Branchen“, meint auch Staatsekretär Harald Mahrer, der auch Branchen ermuntert, digital innovativ zu werden, die bisher von der Digitalisierung weniger berührt wurden. Die Bundesregierung hat mit der Digital Roadmap bereits zu Jahresbeginn eine konkrete österreichische Gesamtstrategie zur Digitalisierung verabschiedet. 

Neben strukturellen Maßnahmen müsse aber auch das Bewusstsein an sich geschärft werden. Geld sei nicht immer das essenzielle Thema. „Es ist mehr eine Frage der Priorität und des Mutes, erste Schritte zu machen“, so Heingärtner, der eine mutigere Trial-and-Error-Herangehensweise fordert. Wichtig seien Mitarbeiter als das Um und Auf, es benötige oft auch mehr Mut, diese machen und Dinge auszuprobieren zu lassen.

Digitalisierung ist Chefsache

Gravierende Veränderungen müssten dabei immer gewollt sein, und könnten nur von oben angeordnet werden, so Kormann. Denn digitale Transformation sei keine rein technische Herausforderung, sondern auch Chefsache. „Richtig angefasst bedeutet Digitalisierung in jedem Unternehmen letztlich einen Kulturwandel“, ergänzt Heingärtner. Dieser habe immer Auswirkungen auf Mitarbeiter wie auch Prozesse. Kormann empfiehlt mit einem konkreten Thema anzufangen, welches sowieso umgesetzt werden müsse, anstatt sich bei zu großen Veränderungen zu „verzetteln“. Weiters könne eine „Digitalisierungs-Roadmap“ eine erfolgreiche Umsetzung unterstützen.

Nischen bieten Möglichkeiten, das digitale und wirtschaftliche Standing weiterzuentwickeln. „Man sollte sich auch überlegen, wo man sich in eine Nische hineinsetzen kann, die erfolgversprechend ist“, fügt Bodenstein an. Hierauf verweist auch Unger: „Es entstehen neue Geschäftsmodelle.“ Solche Entwicklungen solle man für die eigene Branche im Auge haben. Für Kormann geht es insbesondere um „rasches Lernen und Umsetzen“, da man so den Prozess der Digitalisierung ins Laufen bringe. Die digitale Transformation wird aber nicht nur die Kleinsten auf Trab halten. „Auch die größeren KMU sind unter Druck“, so Heingärtner. „Wir müssen sehen, dass wir die nächsten drei bis fünf Jahre nutzen, um verlorenes Terrain wieder aufzuholen“, mahnt Unger. Zu spät sei es dafür noch lange nicht. 



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