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Traumjob und die große Liebe in Berlin: Turbo-Integration eines Syrers: "Ich mache hier mein Glück"
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Turbo-Integration eines syrischen Flüchtlings
dpa Der Syrer Mohammed Basel Alyounes spricht am 25.04.2016 in einem Büro von Ernst & Young in Berlin mit der Geschäftsführenden Ana-Cristina Grohnert
Dienstag, 03.05.2016, 09:54

Was einem junger Syrer nach seiner Flucht in Berlin bisher gelang, liest sich wie ein Integrationsmärchen. Es hing allerdings an vielen Zufällen – und ist alles andere als die Regel.

Das erste deutsche Wort, das Mohammed Basel Alyounes in Berlin lernte, war „Scheiße“. „Das haben die Leute in der S-Bahn immer gesagt. Ich wusste erst nicht, was es bedeutet“, erinnert er sich. Das war im vergangenen August, als der Syrer vor dem Krieg nach Deutschland floh. Heute überblickt er von seinem Arbeitsplatz im Spreedreieck-Hochhaus das Regierungsviertel. Es ist eine Turbo-Integration, die seine Kollegen bewundernd „völlig irre“ nennen, wie im Märchen. Alyounes nennt es Zufall, Glück – und Verstand.

Mit kurzen gegelten Haaren, modischem Kinnbart und Krawatte passt der 28-jährige Syrer äußerlich perfekt in die Manager-und Finanzwelt. Genau da wollte er nach dem Wirtschaftsstudium in seiner Heimat hin. Doch dann fielen die Bomben auch auf Damaskus. Als ihn nach seiner Flucht über die Türkei, Griechenland und Ungarn ein Berliner TV-Reporter nach seinen Träumen fragte, antwortete er auf Englisch: Er würde gern für Ernst & Young arbeiten.

Im Asylverfahren hat ihn keiner nach seinen Qualifikationen gefragt

Diesen TV-Beitrag sah aus purem Zufall Ana-Cristina Grohnert aus der Geschäftsführung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Sie ließ Alyounes über eine syrische Facebook-Gruppe suchen, lud ihn erst zu einem Gespräch, dann zu einem Praktikum ein. Im gesamten Asylverfahren davor hatte ihn noch niemand nach seinen beruflichen Qualifikationen oder Ambitionen gefragt.

Bei diesem Teil der märchenhaften Geschichte seufzt Heinrich Alt tief auf. Der Ex-Vorstand der Bundesagentur für Arbeit ist Mitglied der Expertenkommission der Bosch-Stiftung, die Anfang April einen Leitfaden zur Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik veröffentlichte. „Wir denken zu deutsch“, sagt Alt. Erst komme das Asylverfahren, dann folgten Sprach- und Integrationskurs. „Und nach drei Jahren schauen wir dann mal, wo wir einen Arbeitsplatz für einen Flüchtling finden. Das ist doch Irrsinn.“

„Es gibt 25 Prozent Analphabeten“

Mit dem Integrationsgesetz, das im Mai beschlossen werden soll, sei einiges auf dem Weg, sagt Alt. Doch rund ein Jahr nach dem Beginn der großen Flüchtlingswelle gibt es immer noch keine saubere Statistik, welches Potenzial mit den Zuwanderern gekommen ist. „Wir kennen das nur aus der Vergangenheit“, ergänzt er. 80 Prozent der Migranten brächten keine zertifizierten Abschlüsse mit, zwölf Prozent hätten eine schulische oder betriebliche Ausbildung, acht Prozent seien Akademiker. „Und es gibt 25 Prozent Analphabeten“, schließt er.

Anita Renusch bestätigt diese Zahlen aus der jüngsten Praxis. In Berlin ist sie bei der Arbeitsagentur für die Integration von Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt zuständig. Selbst mit Blick auf Akademiker sei inzwischen Ernüchterung eingekehrt, berichtet sie. „Nicht immer ist ein Ingenieur das, was er bei uns ist.“ Es gehe aber auch darum, Flüchtlingen, die ihre Fähigkeiten nicht belegen könnten, in der Praxis Chancen zu geben. Allein schon die Masse mache jedoch individuelle Unterstützung schwer. 43.000 Asylanträge liefen in der Hauptstadt. Mehr als 1000 Flüchtlingen helfen 22 Mitarbeiter aus Renusch' Team nun ganz gezielt bei der Jobsuche. Vor einem Jahr waren es gerade mal zwei Kollegen.

Alyounes lernt Deutsch mit "Oma und Opa"

Bei Ernst & Young macht Ana-Cristina Grohnert ihr eigenes Ding. „Wenn sich Akademiker am besten integrieren lassen, dann doch lieber sofort“, sagt sie. Sie wirft den deutschen Behörden nichts vor. „Auf diesen Ansturm waren sie nicht vorbereitet“, sagt sie. Doch sie schickt nun Mitarbeiter zur Arbeitsverwaltung, um die Erfahrungen internationaler Unternehmen bei der Suche nach Talenten weiterzugeben. Beim Abschneiden alter Zöpfe könne Deutschland gleich den Zuständigkeits-Dschungel im föderalen System lichten, findet sie. „Jetzt haben wir den Druck und die Energie, das sollte nicht verpuffen.“

Mohammed Basel Alyounes hat seit seiner Ankunft große Hürden ohne die Behörden genommen. Sein schon ganz passables Deutsch verdankt er dabei einem weiteren Zufall. Eine Woche nach seiner Unterbringung in einem Hostel im östlichen Berliner Stadtteil Kaulsdorf ging er zu einem Willkommensabend der Kirchengemeinde. Dort lernte er eine junge deutsche Familie kennen, die ihn einlud, bei ihr zu wohnen. „Mit Oma und Opa in einem Haus“, sagt er. Alyounes lernte nun Wörter wie „Guten Appetit“.

„Ich mache hier mein Glück“

Später erhielt er ein Stipendium für einen Deutsch-Intensivkurs am Goetheinstitut. Inzwischen betreut der Syrer bei seiner Arbeit bereits Kunden. Doch offiziell ist er immer noch Praktikant, weil sein Asylverfahren noch läuft. Alyounes hatte auch schon eine eigene Wohnung in Aussicht, im Moment ein Kunststück in Berlin. Doch er kann sie nicht anmieten, weil sein Asylverfahren noch läuft. Innerlich kocht er. „Ich will kein Geld vom Staat, ich brauche doch nur diese Anerkennung“, sagt er.

Vor seiner Flucht kannte Alyounes deutsche Fußballmannschaften. Inzwischen kennt er Berliner Stadtviertel, in denen Migranten unter sich leben - manchmal, ohne ein Wort deutsch zu sprechen. „Diese separierte Gesellschaft, das habe ich so nicht erwartet“, sagt er. Er will zu Deutschland dazugehören - und am liebsten in Kaulsdorf wohnen bleiben. Wenn er mit seinen Eltern in Damaskus telefoniert, hat er manchmal ein schlechtes Gewissen. “In Syrien ist Krieg. Und ich bin hier in Sicherheit und reg' mich über das Schneckentempo meines Asylverfahrens auf.“

Sein Integrations-Märchen hat aber noch ein Happy End. Alyounes fand in Berlin eine Freundin. Sie ist Syrerin, geflohen wie er. „Zu Hause hätten wir uns vielleicht nie getroffen“, sagt er. Als Pharmazeutin macht sie ein Praktikum in einer Berliner Apotheke. Alyounes möchte heiraten. „Ich mache hier mein Glück“, sagt er.

Im Video: Pech und Unvermögen: Nicht zu fassen, was der an Chancen liegen lässt 

lro/dpa
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